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junge Welt

Die junge Welt berichtet heute über Pestizid-Vergiftungen in Südamerika und greift dabei auch die Kampagnen der CBG auf.

Gift aus dem Norden

Schäden durch Agrarchemikalien in Südamerika immer offensichtlicher. In den Herkunftsländern der Hersteller regt sich kaum Widerstand

Von Romano Paganini, Mar del Plata

11. März 2013 -- In diesen Wochen werden die Chefs von Syngenta, Bayer, BASF, DowChemical oder Monsanto wieder vor ihren Geldgebern bei der Generalversammlung sitzen. Während die Herren der Agrochemiekonzerne im Norden Zuversicht versprühen, werden im Süden Chemikalien auf fruchtbarem Land ausgebracht - Substanzen, die aus den Laboratorien der genannten Firmen stammen. Es sind Herbizide, Insektizide, Fungizide. Sie sollen töten, was das Wachstum von Soja, Mais und Baumwolle, aber auch von Äpfeln, Birnen, Erdbeeren oder Kiwis einschränken könnte. Die Chemikalien, so heißt es, haben bei korrekter Applikation keine negativen Folgen für Mensch und Umwelt. Insekten sind zwar Teil der Natur, aber nicht für diese Herren. Für sie ist Natur, was Aktien für ihre Aktionäre sind: eine Geldanlage.

Doch Natur ist Lebensgrundlage. Was aufmerksame Menschen schon vor Jahrzehnten erkannten - in den Medien nannte man sie Umweltschützer - ist heute Teil des öffentlichen Bewusstseins. Deshalb können sich Hersteller von gentechnisch verändertem Saatgut (GMO) und Agrochemikalien nicht mehr hinter den Fassaden ihrer Hauptsitze in Europa und Nordamerika verstecken und hoffen, dass niemand etwas merkt. Zu offensichtlich ist ihr Anteil an der Zerstörung besagter Lebensgrundlage, sei es durch die Verseuchung der Erde, die Kontamination herkömmlichen Saatguts durch genetisch manipulierte Pflanzen oder die Abholzung von Wäldern, um neue Flächen zu erschließen. Hinzu kommen die durch Patente erzwungenen Knebelverträge, die Mais- oder Sojaproduzenten nur zwei Möglichkeiten lassen: Sie erfüllen die Konditionen der Herstellerfirmen, oder sie sind weg vom Fenster.

In Ländern wie Argentinien werden sich immer mehr Bürger dieser Methoden bewusst. Beispielsweise in Cordoba. Dort wehrten sich die Bewohner über Jahre gegen das Sprühen vor ihrer Haustür. Im betroffenen Bezirk kam es zu erhöhten Krebsraten und zu Missbildungen bei Neugeborenen. Im August vergangenen Jahres wurden ein Sojaproduzent und ein Pilot zu drei Jahren Gefängnis auf Bewährung verurteilt, weil sie gesundheitliche Schäden der Bevölkerung billigend in Kauf genommen hatten. Es war das erste Urteil dieser Art in Lateinamerika.

Ein paar Monate später traf es die argentinische Hauptstadt. Im Hafen von Buenos Aires explodierte kurz vor Weihnachten ein Container mit Thiodicarb, einem Insektizid von Bayer. Während stundenlang eine dunstige Wolke über der Metropole hing, mussten ganze Stadtteile evakuiert werden. Tausende Bewohner klagten über Atemprobleme, Halsschmerzen und Schwindelgefühle. Die Chemikalie war unterwegs nach Paraguay. In Europa ist Thiodicarb verboten.

Wochen später stand der Journalist Oscar Alfredo Di Vincensi vor der Sprühmaschine des Sojaproduzenten Juan Manuel Zunino im Städtchen Alberti und filmte. Er forderte den Produzenten auf, den gesetzlich festgeschriebenen Mindestabstand von 1000 Metern zu bewohntem Gebiet einzuhalten. Als sich der Journalist kurz abwendete, drückte Zunino auf das Gaspedal und rammte Di Vincensi. Er musste im Krankenhaus behandelt werden.

Derartige Konfrontationen sind Alltag in den Monokulturen Lateinamerikas. Die Menschen, sofern informiert, kämpfen seit Jahren um ihr Land, ihre Gesundheit oder wenigstens um die Einhaltung von Gesetzen. Die Konzerne bestechen Politiker, wo sie es für nötig halten, und agieren ähnlich wie die Kolonialherren vor 500 Jahren: Sie verunsichern die lokale Bevölkerung mit Falschinformationen und beuten dann über ihre Mittelsmänner die Ressourcen aus.

Die Meeresbiologin Rachel Carson fragte schon 1962 in ihrem Buch "Silent Spring": "Wie nur konnte ein intelligentes Wesen ein paar unerwünschte Arten von Geschöpfen mit einer Methode bekämpfen, die auch die gesamte Umwelt vergiftet und selbst die eigenen Artgenossen mit Krankheit und Tod bedrohte?" Sie bezog sich auf DDT, das zu dieser Zeit weltweit am meisten eingesetzte Insektizid. DDT stammte aus dem Hause J. R. Geigy, einem der Firmenvorläufer von Syngenta. Der Entdecker des Insektizids, Paul Hermann Müller, wurde 1948 mit dem Nobelpreis für Medizin ausgezeichnet. Wenige Jahre später waren die negativen Folgen des Einsatzes unübersehbar: Beispielweise Fischsterben wegen verseuchten Grundwassers. Zudem gelangte die Chemikalie in die Nahrungskette und tötete nicht nur Larven, Käfer und Wanzen, sondern auch Nagetiere und Vögel, die die kontaminierten Tiere fraßen. In den USA, so schrieb Carson, blieben ganze Landstriche stumm - wegen massenhaften Vogelsterbens. Außerdem lagerte sich DDT im menschlichen Fettgewebe ab und gelangte so auch in die Muttermilch. Die Chemikalie wurde erst nach langen Protesten Anfang der 70er Jahre verboten; in Indien und China soll sie weiterhin eingesetzt werden.

DDT kann als typisches Beispiel für die Strategie der Hersteller gelten. Zuerst wird ein neues Produkt auf den Markt gebracht und als Allheilmittel verkauft. Und wenn der Schaden unübersehbar und die Empörung in der Bevölkerung unüberhörbar geworden ist, wird es verboten. Was mit DDT geschah, geschah später mit Paraquat (Syngenta) oder mit Endosulfan (Bayer) - zumindest in Europa.

Im Süden hingegen werden die Versuche der Chemieindustrie weiterhin auf offenem Feld durchgeführt. Die Wirkstoffe heißen heute 2,4-D oder Glyphosat (beide Monsanto) und haben ähnliche Folgen wie früher DDT. Die Bezeichnung "versteckter Genozid", wie betroffene Menschen in Argentinien es bezeichnen, erscheint nicht so abwegig. Doch trotz der Bemühungen zahlreicher Aktivisten, beispielsweise der Coordination gegen Bayer-Gefahren, das auch in den Herkunftsländern von Syngenta, Bayer und BASF zu problematisieren, gibt es dort noch viel zu wenig Widerstand.