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Hannoversche Allgemeine

Die HAZ greift (am Ende des Artikels) unsere Kampagne zum 150. BAYER-Jubiläum auf

Hannoversche Allgemeine, 22. März 2013

Bayer-Konzern zeigt seine Kunstsammlung

„Kunst im Büro fördert die Kreativität“: Der Konzern Bayer zeigt erstmals seine Sammlung. Sie gilt als älteste Firmenkollektion Deutschlands. Bis zum 9. Juni können die Werke in Berlin besichtigt werden.

Kunstsammlungen von Unternehmen werden heute „Corporate Collections“ genannt. In der Regel beruht das Sammeln auf Systematik. Vor 150 Jahren galt hingegen das Prinzip: Der Chef sammelt persönlich! So war das auch beim Bayer-Konzern. Dessen Kollektion gilt als älteste Firmensammlung Deutschlands. Anlässlich seines 150. Jubiläums macht der Chemie- und Pharmakonzern mit Stammsitz in Leverkusen jetzt in Berlin seine Schätze erstmals öffentlich.
Unter dem Titel „Von Beckmann bis Warhol“ erhalten Besucher des Berliner Martin-Gropius-Baus Einblicke in mehr als ein Jahrhundert Wandel unternehmerischer Geschmackskultur. Zu sehen sind 240 Hauptwerke der insgesamt 2000 Werke umfassenden Kollektion, darunter unbekannte Zeichnungen von „Brücke“-Künstlern wie Pechstein, Schmidt-Rottluff und Mueller, exquisite Lithografien von Pablo Picasso und Gemälde von Max Beckmann bis Gerhard Richter. Bilder und Plastiken von insgesamt 89 Künstlern sind ausgestellt. Bislang hatten diese ausschließlich Bayer-AG-Mitarbeiter und Firmenkunden in Büros, Fluren und in der Vorstandsetage gesehen.
Der Gropius-Bau offenbare „ein Geheimnis“, sagte dessen Direktor Gereon Sievernich. Von einer „Weltpremiere“ sprach Konzernsprecher Michael Schade. Eine Schätzsumme wollte er nicht nennen, einige Stücke aber lägen durchaus „im Millionenbereich“. „Ohne Sammler und Mäzene, auch in den Reihen der Unternehmen, wäre die Kultur in unserem Land ein deutliches Stück ärmer“, sagte Kulturstaatsminister Bernd Neumann in seiner Eröffnungsrede.
Bayer, am 1. August 1863 nahe Wuppertal gegründet, war anfangs ein Dreimannbetrieb. Bereits in dieser Frühphase wurden von dem auf synthetische Farben spezialisierten Unternehmen erste Kunstwerke als Wanddekor gekauft. Der eigentliche Grundstock der Bayer-Sammlung aber wurde um 1900 herum gelegt. Der reiche Erbe und Industriellensohn Karl Ernst Osthaus predigte damals in Hagen die Verschmelzung von Kunst und Leben. Er hielt auch bei Bayer Vorträge.
Osthaus beklagte die „geistige Verwahrlosung“ des industriellen Westens und setzte sich für eine „Hebung“ des allgemeinen Niveaus ein. Den Industriebaronen ging es aber wohl vordergründig um eine Hebung des eigenen Ansehens. Kunst sollte ersetzen, was an Herkunft und Tradition fehlte.
Carl Duisberg, zunächst Direktor, dann Generaldirektor bei Bayer, ließ sich gleich zweimal vom großen Impressionisten Max Liebermann in dessen Berliner Atelier in Öl verewigen. Außerdem gab der Chemiker Büsten herausragender Naturwissenschaftler in Auftrag. Vorbild war der König. Ludwig I. hatte 1842 in Regensburg das Walhalla der Geistesgrößen anlegen lassen, Leverkusen zog mit einem Walhalla der Chemiker nach.
Deutscher Expressionismus neben Pariser Schule, nach dem Zweiten Weltkrieg dann internationale Schule: Die Sammlung ist breit gefächert, allerdings dominieren bei den Ankäufen im 20. Jahrhundert gefällige Motive: Blumenstillleben, Landschaften, weibliche Akte. Aus dem Rahmen fallen Bilder der deutschen „bad boys“ der achtziger Jahre wie Markus Oehlen oder Martin Kippenberger. Besonders schön: „Die Russische Revolution - Vom Hörensagen und in Öl“ von Werner Büttner. Diese Werke sind allerdings von einem amerikanischen Tochterunternehmen gekauft und später von Leverkusen lediglich en bloc übernommen worden.
Im Zuge einer wissenschaftlichen Aufarbeitung in jüngster Zeit wurden von 5000 angesammelten Werken lediglich 2000 für würdig befunden, als Bayer- Sammlung zu firmieren. Das zeigt, dass Kunstsammeln immer die Gefahr birgt, auch Unbedeutendes und bloß Zeitgeistiges ins Haus zu holen.
Den Mitarbeitern steht es frei zu wählen. Mancher greife auch zum röhrenden Hirsch, sagte der Konzernsprecher. Im Katalog zur Ausstellung sprechen Bayer-Mitarbeiter über ihr Verhältnis zur Kunst. Sie schreiben: „Ich freue mich jedes Mal wieder, wenn ich morgens in mein Büro komme und die Kunstwerke sehe.“ Oder: „Kunst im Büro fördert die Kreativität und bietet einen guten Gesprächseinstieg beim Kennenlernen neuer Geschäftspartner.“ Oder: „‚Meine moderne Kunst inspiriert mich bei der Arbeit.“
Von den 300 umsatzstärksten Unternehmen in Deutschland sammeln heute 80 Prozent Kunst, ungefähr die Hälfte davon systematisch. Eine Reihe davon, darunter Lufthansa, trennte sich in den wirtschaftlichen Turbulenzen der Finanzkrise von Kunstwerken. Andere, etwa die Deutsche Telekom, begannen zu sammeln. Zum gewandelten Verhältnis zwischen Unternehmern und Künstlern bemerkte der Medientheoretiker Norbert Bolz schon vor einiger Zeit: „Die künstlerische Avantgarde ist nicht mehr das schlechte Gewissen der Gesellschaft, sondern eher die Forschungs- und Entwicklungsabteilung der Wirtschaft.“
Eine Sonderbriefmarke mit dem Bayer-Kreuz, Ballonflüge rund um den Globus und die Berliner Ausstellung sind Höhepunkte der Feiern zum 150. Jubiläum des Konzerns. Unbequeme Themen wie die Rolle als Teil der I.G. Farben im Dritten Reich oder aktuelle Umweltprobleme werden im Jubiläumsjahr tiefer gehängt. Eine kürzlich gestartete Kampagne, die unabhängige „Coordination gegen Bayer-Gefahren“, erinnert an die ignorierten Schattenseiten.