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Hauptversammlung 2014
Kathrin Weigele und Felicitas Rohrer

Rede Bayer-Aktionärshauptversammlung

Mein Name ist Kathrin Weigele. Zu meiner Person: Ich bin 32 Jahre alt, habe Jura studiert und mache derzeit eine Ausbildung zur Logopädin. Im Alter von 24 Jahren wäre ich beinahe durch die drospirenonhaltige Antibaby-Pille Yasmin aus Ihrem Hause aus dem Leben gerissen worden. Ich erlitt eine lebensbedrohliche beidseitige Lungenembolie mit einer stark ausgeprägten Rechtsherzbelastung. Man gab mir eine Überlebenschance von 5% für die nächsten 5 Jahre. Auch heute leide ich noch unter den Folgeschäden und ich werde lebenslang auf die Einnahme von Blutgerinnungsmitteln angewiesen sein.

Mein Name ist Felicitas Rohrer, ich bin 29 Jahre alt und von Beruf Tierärztin und Journalistin. Ich stehe hier, weil ich 2009 eine doppelte Lungenembolie mit akutem Atem- und Herzstillstand erlitt. Ausgelöst durch die Antibabypille Yasminelle der Firma Bayer. Auch ich hatte nur eine Überlebenschance von unter 5%. Ich habe nicht geraucht, war nicht übergewichtig und nicht über 30. Ich habe daher als erste Person in Deutschland Bayer auf Schadensersatz und Schmerzensgeld verklagt.

Sie fragen sich vielleicht, warum sowohl Frau Weigele als auch ich rechtliche Schritte gegen Bayer eingeleitet haben, geht es doch „nur“ um eine normale Antibabypille. Auf den ersten Blick mag das zutreffen. Doch die Pillen der Yasmin-Familie haben verschiedenen wissenschaftlichen Studien zufolge ein dreimal so hohes Thromboserisiko als andere Pillen. Denn diese Pillen enthalten das Hormon Drospirenon. Als Bestandteil der Pille entzieht Drospirenon dem Körper zu viel Wasser, das Blut verdickt sich, das Risiko, eine Thrombose zu erleiden erhöht sich. Und damit auch das Risiko einer Lungenembolie oder eines Schlaganfalls. Drospirenonhaltige Pillen haben keinen Zusatznutzen, sind aber gefährlicher. Angesichts der Vielzahl veröffentlichter Studien, die eine erhöhte Thrombosegefahr belegen, kann kein Zweifel daran bestehen, dass der Bayer-Vorstand davon wussten. Dennoch werden die Pillen munter weiterverkauft. Sie, sehr geehrte Aktionäre, können das vielleicht nicht glauben und deshalb möchten wir Ihnen gerne die Fakten darlegen und zeigen, wie Bayer darauf in den vergangenen Jahren reagiert hat:

2000:
Schon bei der Markteinführung drospirenonhaltiger Pillen gab es kritische Stimmen, die das Fehlen von ausreichenden Studien zur Thrombogenität bemängelten.

2009:
Eine niederländische Studie stellt fest: Erhöhung des Thromboserisikos um das Fünffache. Eine dänische Studie stellt ein doppeltes Risiko fest. Beide raten von der Verwendung drospirenonhaltiger Pillen ab.

Frühjahr 2010:
Die EMA, die Europäische Arzneimittelagentur, veranlasst die Aufnahme des erhöhten Thromboserisikos in den Beipackzettel bzw. in der Fachinformation. Bisher stand darin, dass das Thrombose-Risiko mit levonorgestrelhaltigen Pillen, also Pillen älterer Generationen, vergleichbar sei.

Die Umsätze der Yaz-Familie fielen 2010 um 13% auf 1,1 Millionen Euro.

April 2011:
In den USA: Susan Jick von der Boston University School of Medicine ermittelt ein mehr als dreifach erhöhtes Thromboserisiko; eine zweite US-amerikanische Studie ergab ein doppelt so hohes Risiko.

Mai 2011:
Erste Klage auf Schadenersatz und Schmerzensgeld gegen Bayer in Deutschland

Ebenfalls 2011:
Die EMA kommt zu dem Schluss, dass die Anwendung drospirenonhaltiger Kontrazeptiva mit einem höheren Thrombose-Risiko verbunden sei, als Anwendung levonorgestrelhaltiger Kontrazeptiva und ordnet nochmals eine Ergänzung des Beipackzettels bzw. Änderung der Produktinformation an.

Oktober 2011:
Warnung der amerikanischen Gesundheitsbehörde FDA: Bei einer vorläufigen Auswertung einer von der FDA finanzierten Studie stellte die Behörde ein 1,5fach höheres Risiko unter drospirenonhaltigen Kontrazeptiva fest. Im Durchschnitt hatten die Verwenderinnen von Yaz ein 74% höheres Risiko von Blutgerinnseln als Frauen, die ältere Präparate benutzen.

Oktober 2011:
Eine neue dänische Studie zum Thrombose-Risiko beweist: Für Frauen, die drospirenonhaltige Kontrazeptiva einnahmen, ist das Risiko doppelt so hoch

November 2011:
Eine israelische Studie zeigt: Das Thrombose-Risiko ist bei Drospirenon 43-65% höher

2011:
Der Barmer GEK Gesundheitsreport rät von der Anwendung drospirenonhaltiger Präparate ab. Auch hier wird nach aktueller Studienlage bei gleich guter Wirksamkeit von einer Verdoppelung oder gar Verdreifachung des Thromboserisikos ausgegangen.

Dezember 2011:
Der Experten-Ausschuss der FDA, in dem Nutzen und Risiken erneut bewertet und diskutiert wurden, fordert verschärfte Warnhinweise. Bayer muss nun darauf hinweisen, dass Präparate mit Drospirenon das Thromoboserisiko erhöhen können.

April 2012:
Erste Zahlungen und Vergleiche in den USA

2013: Die französischen Krankenkassen entscheiden, die Verschreibung drospirenonhaltiger Pille ab September 2013 nicht mehr zu bezahlen. Sogar das Französische Gesundheitsministerium schaltet sich ein und setzt sich mit der EMA in Verbindung. Diese bewertet daraufhin die Pillen der sogenannten neuen Generationen neu. Mit dem deutlichen Ergebnis, dass Pillen mit dem Wirkstoff Drospirenon, ich zitiere, „eine deutlich größere Venöse Thromboembolie-Gefährdung bergen. Den Risikodaten zufolge dürften in Deutschland pro Jahr 250 Frauen mehr eine Thromboembolie erlitten haben, als wenn stattdessen eine anderes Kontrazeptivum genommen worden wäre“. Was sagen Sie zu dieser Aussage, Herr Dr. Dekkers? Wie wollen Sie den Verkauf dieser Pillen weiter rechtfertigen, wenn Ihnen schwarz auf weiß präsentiert wird, dass Sie dadurch Leben aufs Spiel setzen?

Die Studien und Entscheidungen der vergangenen Jahre sprechen für sich. Und die Reaktion des Vorstandes in den letzten Jahren? „Wir gehen nach wie vor von einem positiven Risiko-Nutzen-Profil der drospirenonhaltigen Pillen aus“. Können Sie denn ernsthaft weiterhin an dieser Floskel festhalten? Was brauchen Sie denn noch, Herr Dr. Dekkers? Wie viele Studien, Untersuchungsergebnisse, Bewertungen, Erkrankungen und Todesfälle soll es denn noch geben, damit Sie die Pillen endlich vom Markt nehmen? Wir kennen Ihre Reaktion schon sehr genau: Sie werden, wie Sie es in der Vergangenheit auch schon so fleißig getan haben, lediglich wieder auf Ihre eigenfinanzierten Studien hinweisen, die zu dem Schluss kommen, dass das Thromboserisiko unter Drospirenon nicht erhöht ist. Wir sind der Ansicht, diese Aussage ist veraltet und lässt sich angesichts all der Fakten nicht länger halten.

In Deutschland gibt es 28 bestätigte Todesfälle im Zusammenhang mit drospirenonhaltigen Pillen, in den USA sind es offiziell 190. Doch die Dunkelziffer ist weitaus höher, denn nicht jeder Fall wird den zuständigen Stellen gemeldet. Auch Erkrankungsfälle und Frauen, die knapp überlebt haben, wie wir beide, sind noch ungezählt. Und dementsprechend wird weltweit gegen Bayer geklagt. Bis Mitte Februar 2014 zahlte Bayer alleine für Vergleiche in den USA 1,7 Milliarden US-Dollar! An über 8200 Frauen. Mehr als 600 Frauen sind gerade dabei, in Australien eine Klage vorzubereiten. In Frankreich gibt es 30 Klagen. Zudem sind in Kanada, den Niederlanden, Israel, der Schweiz und eben in Deutschland Klagen anhängig. Meine Frage an Sie, Herr Dr. Dekkers: Wurden auch in Deutschland noch weitere Klagen eingereicht? Wie viele Klagen sind insgesamt gegen Bayer aktuell anhängig? Wurden außer in den USA noch weitere Vergleiche geschlossen? In der Bilanz 2012 musste Bayer 1,2 Milliarden Euro für Entschädigungen zurückstellen. Und das - das wird Sie als Aktionäre besonders interessieren - übersteigt den Versicherungsschutz! Wie hoch ist die Summe der Rückstellungen in diesem Jahr? Man sollte meinen, ein so großer Konzern zieht daraus seine Lehren. Mitnichten. Sie verkaufen die Pillen der Yasmin-Familie einfach weiter. „Die Entschädigungszahlungen in den USA seien ja ohne eine Anerkennung der Schuld geflossen und sowieso sei die rechtliche Situation in den USA nicht mit der in Europa vergleichbar.“ Das bekommen wir zu hören, wenn wir fragen, warum Bayer europäische Opfer nicht auch für dieselben Leiden und Folgeschäden entschädigt. Herr Dr. Dekkers, ist es Ihr Ernst, dass Sie Unterschiede zwischen den Ländern machen, wenn es sich doch um haargenau die gleiche Pille mit denselben fatalen Nebenwirkungen handelt?
Meine Klage wurde 2011 eingereicht. Ist es nicht so, dass Sie sich bis heute weigern, jegliche Verantwortung anzuerkennen oder überhaupt mal mit mir oder Frau Weigele zu reden? Und das obwohl Sie unsere Fälle ganz genau kennen, ganz genau vom klinischen Tod, Notoperationen, vernarbten Lungen, Herzstillständen und Gasaustauschstörungen wissen. Sie sitzen einfach da und warten ab.

Das alles ist noch nicht genug. Geschädigte wie wir werden als bedauerliche Einzelfälle abgetan und zum Teil sogar selbst an den Pranger gestellt: So geschehen in der Schweiz. Dort nahm die 16-jährige Celine vier Wochen lang die drospirenonhaltige Pille Yaz. Sie erlitt eine doppelte Lungenembolie, ist seitdem schwerstbehindert, kann nicht sprechen, nicht selbständig essen, lebt in einem Pflegeheim. Ihre Mutter reichte Klage gegen Bayer ein. Das Ergebnis: Die Familie soll nun Bayer 120.000 Franken Prozessentschädigung zahlen. Für uns unverständlich. Wie, Herr Dr. Dekkers, können Sie es eigentlich mit Ihrem Gewissen vereinbaren, dass Sie von einer so schwer gebeutelten Familie auch noch Geld verlangen, wo die Ursache doch ganz klar bei Bayer zu finden ist? Sogar die größte Krankenkasse der Schweiz, die CSS, hat Bayer wegen Celines Fall verklagt. Auch sie geht nach diesem haarsträubenden Urteil in Berufung.

Und auf der andern Seite spielt sich Bayer als der große Wohltäter auf und finanziert den Weltthrombosetag. Man könnte ja lachen, wenn es nicht so menschenverachtend wäre. Bayer finanziert einen Tag, der an die Gefährlichkeit von Thrombosen erinnern soll und verursacht mit drospirenonhaltigen Pillen nebenher tagtäglich unnötige Thrombosen bei gesunden jungen Frauen. Eine plausible Erklärung dafür würde mich echt interessieren.

Sehr geehrte Aktionäre, sehr geehrter Vorstand, wir von der Selbsthilfegruppe Drospirenon Geschädigter fordern im Namen aller Betroffenen, dass die drospirenonhaltigen Pillen von Ihnen endlich vom Markt genommen werden. Und dass Sie, Herr Dr. Dekkers endlich aufhören, uns als „bedauerliche Einzelfälle“ zu sehen. Ich sage es jedes Jahr wieder: Übernehmen Sie doch endlich Verantwortung! Für Ihre Produkte und für all die jungen Frauen, die durch Ihre Pillen gestorben oder behindert sind oder ein Leben lang mit den Folgen zu kämpfen haben. Wir sind keine Einzelfälle. Und wir kämpfen weiter. Mit Presseauftritten, mit Aufklärung und auch auf juristischem Weg. Und WIR sind gesprächsbereit! Liebe Aktionäre, auch Sie sollten ein Interesse daran haben, dass Bayer die Pillen endlich vom Markt nimmt. Denn wir werden nicht aufgeben. Und wir beide, Herr Dr. Dekkers, sehen uns sowieso bald wieder. Das nächste Mal nämlich vor Gericht.