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Verkehrsplaner BAYER

Wasser, Boden & Luft

Die kurzen Dienstwege des Konzerns

Verkehrsplaner BAYER

Bereits seit Jahren tobt in Leverkusen ein Streit über die Pläne, die marode Autobahn-Brücke über den Rhein zu ersetzen und die A1 in dem Aufwasch gleich auf bis zu zwölf Spuren zu erweitern. „Tunnel oder Stelze“ lautet die Alternative. Wie positioniert sich BAYER in diesem Konflikt?

Von Jan Pehrke

Vom Kölner Stadtanzeiger an Silvester gefragt, welche Erwartungen er mit dem kommenden Jahr verknüpft, musste Dr. Erich Grigat von der BAYER-Tochter CURRENTA nicht lange überlegen. „Für 2017 wünsche ich dem Chem-„Park“ und den Leverkusener Bürgern den Start des Brücken-Neubaus, damit das Verkehrs-Chaos in absehbarer Zeit besser wird“, so der Leiter des Leverkusener Chemie-„Parks“. Dieses Projekt nebst des Ausbaus der A1 auf bis zu zwölf Spuren treibt ihn nämlich schon lange um. „Wenn nicht schnellstmöglich Abhilfe geschaffen wird, fürchten wir, dass die Industrie verlagert wird. Damit ist das langsame Sterben der chemischen Industrie in Deutschland vorprogrammiert“, malt er schon seit einiger Zeit schwarz.
Die Abhilfe, die der Landesbetrieb Straßenbau NRW jetzt schaffen will, hat es allerdings in sich. Die IngenieurInnen wollen für das Vorhaben nämlich BAYERs erst zur Landesgartenschau 2005 einigermaßen abgedichtetes Giftgrab „Dhünnaue“ wieder öffnen. 6,5 Millionen Tonnen Abfälle schlummern dort – mehr oder weniger friedlich – unter der Erde, davon fast eine Million Tonnen gefährliche Rückstände aus der Chemie-Produktion wie Quecksilber, Arsen, Chrom und Blei. Und den Schlaf von rund 160.000 Tonnen, darunter 32.000 Tonnen höher belastetes Erdreich, plant Straßen.NRW jetzt zu stören und für das Fundament der Autobahn-Trasse abzutragen. Da sogar aus der eigentlich abgedichteten Deponie noch Gas austritt, beabsichtigt der Landesbetrieb mit viel Aufwand eine Absaugvorrichtung zu installieren und alle ArbeiterInnen mit Schutzanzügen auszustatten. Und damit weder Gas noch Gift von der Baustelle unkontrolliert an andere Orte gelangt, müssen die Lastwagen, die den Müll in besonders gesicherten Containern abtransportieren, erst einmal eine Art Waschstraße durchfahren, ehe sie das Gelände verlassen. Vielen KritikerInnen erscheint das trotzdem zu risikoreich. Zudem warnen sie vor unkalkulierbaren chemischen Reaktionen durch den Eingriff und „Einstürzende Neubauten“, denn der organische Anteil des Mülls zersetzt sich, weshalb das Volumen abnimmt und mit Bodenabsenkungen zu rechnen ist. Darum plädiert das Bürgerinitiativen-Bündnis „LEV muss leben“ für eine Kombi-Lösung: einen langen Tunnel als Alternative zur „Megastelze“, der einen Großteil der Verkehrsströme aufnimmt, sowie eine Instandsetzung der alten Brücke.
Doch Ernst Grigat will davon nichts wissen. Bedenken, die „Büchse der Pandora zu öffnen, kennt er keine. Zudem belässt der Chef des Chem-„Parks“ es nicht bei frommen Wünschen. Er hat in der Vergangenheit bereits so einiges für deren Verwirklichung getan. In Tateinheit mit dem CURRENTA-Geschäftsführer Günter Hilken schrieb er bereits im Juli 2013 einen Brief an den Bundesverkehrsminister, den Landesverkehrsminister und Straßen.NRW, um vor dem Tunnel zu warnen. „Eine Tunnel-Lösung im Verlauf der A1, wie sie derzeit in Leverkusen diskutiert wird, würde sich negativ auf unsere Standorte auswirken“ hieß es in dem Schreiben, das eine eindeutige Forderung enthält: „Im Interesse aller an diesen Standorten produzierenden Unternehmen bitten wir Sie daher, von einer derartigen Planung abzusehen.“ Und die Politik hörte die Signale. Der Ministerialrat Michael Heinze sagte den CURRENTA-Managern laut Kölner Stadtanzeiger zu, dass „eine Tunnel-Lösung für Leverkusen nicht vorgesehen sei“. Die Rahmenbedingungen ließen „nicht erkennen, wie ein Tunnel bautechnisch und verkehrstechnisch umgesetzt werden könnte“, so der Beamte. „Da schreibt ein Unternehmen einen Brief an den Verkehrsminister und an die Planungsbehörde, dass eine Tunnel-Lösung ja so schlecht für das Geschäft ist. Und schon werden alle Anstrengungen für die Tunnel-Lösung fallen gelassen. Da sieht man mal wieder, dass der Profit wichtiger ist, als die Gesundheit und Lebensqualität tausender Leverkusener Bürger“, erboste sich ein Leser des Kölner Stadtanzeigers daraufhin.
Das Hauptargument der CURRENTA gegen den Tunnel: Dieser lässt keine Gefahrgut-Transporte zu. Die BefürworterInnen der Kombi-Lösung bestreiten das allerdings. Ernst Grigat regte daraufhin in einem Gespräch mit dem Leverkusener Oberbürgermeister Uwe Richrath an, zur Klärung dieser Frage ein Gutachten zu beauftragen. Das tat die Stadt dann auch. Anfang März 2017 lag das Resultat vor. Und die ExpertInnen vom Ingenieur-Büro VÖSSLING und von der PTV TRANSPORT CONSULT hielten es durchaus für möglich, gefährliche Güter durch die Röhre zu führen, wenn dafür bestimmte Vorrichtungen geschaffen würden wie etwa zusätzliche Notausgänge und Flucht-Treppenhäuser. Also bräuchte die BAYER-Tochter sich eigentlich auch bei dieser Variante keine Sorgen um die rund 200 LKWs zu machen, die täglich mit explosivem und/oder giftigem Material den Chemie-„Park“ verlassen. Entsprechend froh stimmte die Expertise die Bürgerinitiativen. Aber die CURRENTA ließ die Hochstimmung nicht lange währen, denn ergebnis-offen agierte das Unternehmen in der Sache nicht. Da die GutachterInnen anders als vom Konzern erwartet urteilten, blieben Grigat & Co. einfach bei ihrer Position. „Unabhängig von einer konkreten Lösung: Für uns ist wichtig, dass der Gefahrgut-Verkehr über eine Autobahn-Trasse möglich ist“, verlautete aus der CURRENTA-Zentrale.
Die Realisierung dieser Möglichkeit böte dem Betreiber des Chemie-„Parks“ en passant noch die zauberhafte Gelegenheit, sich der Verantwortung für einen Teil der Altlast zu entledigen. Die Haftung geht nämlich an den „Zustandsstörer“ über, wie es das BürokratInnen-Deutsch verklausuliert, also an Straßen.NRW. Im Klartext: Die SteuerzahlerInnen kommen im Fall des Falles für den Schaden auf. Erhard Schoofs von der Bürgerliste wollte im Leverkusener Stadtrat deshalb genauer wissen, was die BAYER-Tochter da gemeinsam mit der Stadt und dem Land NRW vereinbart hat. Da der Kommunalpolitiker glaubt, die CURRENTA habe viel mehr Giftmüll-Fläche an Stadt und Land abgetreten, als für den Autobahn-Bau quer durch die Dhünnaue eigentlich nötig wäre, stellte er einen Antrag auf Offenlegung des Vertrags. Dafür bekam er allerdings nicht die notwendige Mehrheit.
Und noch eine Chance tut sich für die Gesellschaft, an der BAYER 60 Prozent der Anteile hält, im Zuge des Projekts auf: Absurderweise kann sie sich auch noch Hoffnung auf ein Geschäft mit den eigenen giftigen Hinterlassenschaften machen, hat sie mit ihren haus-eigenen Müllverbrennungsanlagen doch Entsorgungsdienstleistungen im Programm.
Der ohnehin nicht gerade gute Ruf von BAYER am eigenen Stammsitz hat durch das Agieren von Mutter- und Tochtergesellschaft in der Frage des A1-Ausbaus noch mehr gelitten. Leverkusens Bundestagstagsabgeordneter Karl Lauterbach (SPD) etwa äußerte seine Verärgerung darüber, dass der Konzern „erwartet, die Infrastruktur soll in der Stadt vorhanden sein, aber BAYER trägt nichts dazu bei, noch nicht einmal Steuern an die Stadt. Das ist nicht die Haltung, die ich von einem Welt-Konzern mit Standort-Bekenntnis erwarte.“ Ob sich die Erwartungen des Unternehmens im Hinblick auf die Mega-Stelze erfüllen, bleibt vorerst im Unklaren. Die Bezirksregierung hatte zwar grünes Licht für das Vorhaben gegeben, aber die Bürgerinitiativen reichten gegen den Beschluss Klage ein. Mit der Entscheidung des Leipziger Bundesverwaltungsgerichts über den Einspruch ist für den September zu rechnen.