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[SZ] Süddeutsche Zeitung

Montag, 22. April 2013, Süddeutsche Zeitung

Die Bayer-Rebellen

Die Hauptversammlung des Pharma-Konzerns am kommenden Freitag ist die Stunde kritischer Aktionäre, denen es nicht um Dividenden und Boni geht. Sie prangern die Umweltsünden des Unternehmens an

von Helga Einecke

Düsseldorf – Dieser Raum strotzt vor Geschichten, Geschichten zum Chemiekonzern Bayer. Sie stecken in abgegriffenen Aktenordnern, lassen sich auf Plakaten ablesen, auch aus dem Stapel Flugblätter aus umweltfreundlichem Papier. Was aussieht wie eine verstaubte Amtsstube in den ehemaligen Düsseldorfer Jagenberg-Werken, dient den Männern der Coordination gegen Bayer-Gefahren (CBG) als Operationsbasis. Bei Kaffee und Keksen planen sie Aktionen, formulieren Gegenanträge zur Bayer-Hauptversammlung, die am Freitag dieser Woche stattfindet. Dabei geht es ihnen nicht etwa um Dividenden oder Boni.

Philipp Mimkes hat den Bayer-Geschäftsbericht zur Hand, holt ein Faltblatt zum 125-jährigen Firmenbestehen heraus – und klappt es auf. Er tippt auf die Jahre 1939 und 1951. „Dazwischen klafft eine Lücke“, moniert er. Es gebe viel zu viele beschönigende Passagen in der offiziellen Chronik. „Punkte wie Umweltverseuchung, Pestizid-Vergiftungen, Arbeiterproteste oder Kollaboration mit dem Dritten Reich fallen unter den Tisch“. Damit will er Bayer-Chef Marijn Dekkers beim Aktionärstreffen konfrontieren. Seine Mitstreiter sind gespannt, wie der Manager reagieren wird. Als Niederländer und als ein von der deutschen Geschichte Unbelasteter könnte Dekkers einiges gerade rücken.

Die Bayer-Rebellen existieren seit mehr als 30 Jahren, bilden eine kleine, etablierte Protest-Gruppe. Gründungsmitglied Axel Köhler-Schnura berichtet, wie er Ende der siebziger Jahre in Wuppertal nach Störfällen eine Bürgerinitiative der Anwohner ins Leben rief. „Da taten sich Abgründe auf„, erzählt er über die damaligen Kommunikationspannen bei Bayer. Diese und andere Abgründe beschäftigen ihn bis heute. Es sei ein Ariadnefaden, der kein Ende nehme, sagt er.

Man kann Köhler-Schnura, Kommunist und Familienvater, getrost als linken Überzeugungstäter einstufen, der sich gegen Konzerne, Kapitalismus und für die Umwelt engagiert. Auch bei der Ökobank oder der linken Tageszeitung taz war er dabei. Heute hat der 63-Jährige eine eigene Firma für EDV-Dienstleistungen. Nur der Physiker Mimkes, 45, ist von Beruf Bayer-Kritiker, der einzige hauptberufliche CBGler. Den Vorstand komplettieren der Journalist Jan Pehrke, 50, und der Stadtplaner Uwe Friedrich, 54. Weiteres Fachwissen bringt ein Beirat ein, zu dem Chemiker, Ärzte oder Rechtsanwälte gehören.

Sie alle treibt die Überzeugung an, Konzerne hätten einen überproportionalen Einfluss auf die Gesellschaft, vor allem in Bereichen der Wissenschaft, der Medizin oder der Ökonomie. Das ließe sich allein an der hohen Zahl der Konzern-Lobbyisten in Brüssel oder Berlin ablesen, meint Mimkes. Ein Unbehagen, das viele teilen – nicht nur in kapitalismuskritischen Kreisen. Mimkes hat auch schon Vorträge bei der konservativen Konrad-Adenauer-Stiftung gehalten. Er ist Mitglied bei den Grünen, vor allem wegen deren geballter Umweltkompetenz.

Die Hauptversammlung der Bayer AG ist zwar die beste Möglichkeit, Managern öffentlich auf den Zahn zu fühlen und zu einem Dialog zu zwingen. Aber auch sonst lassen die Bayer-Kritiker nicht locker. Sie lasten dem Konzern das Bienensterben ebenso an wie schwere Nebenwirkungen bei Antibaby-Pillen oder Blutgerinnungshemmern. Sie protestieren gegen die Produktion giftiger Stoffe und deren Transport quer durch Nordrhein-Westfalen, fordern mehr Transparenz. Ihre Kritik macht an den deutschen Grenzen nicht halt, weil Bayer weltweit agiert. In 40 Ländern sind sie nach eigenen Angaben aktiv, prangern Menschenversuche und Kinderarbeit in Indien an, Pestizide auf den Philippinen, Gifttransporte aus Australien. Die CBG finanziert sich vor allem aus den Beiträgen von rund 1000 Mitgliedern, auch von Spenden. Die Organisation will unabhängig bleiben, auch deshalb kommen andere Formen der finanziellen Zuwendung nicht in Frage. Eher der Werbung dient die Unterstützung durch Prominente wie Sängerin Nina Hagen oder dem Regisseur Markus Imhoof.

Manchmal zeigen Proteste schnelle Wirkung. Ein norwegischer Staatsfonds überlegte schon mal, seine Bayer-Aktien zu verkaufen, stellte Bedingungen. Eine Bayer-Fahne aus Taiwan, die im CBG-Büro hängt, erinnert an einen anderen Fall. Der Chemiekonzern wollte dort eine Anlage nach dem Vorbild von Dormagen bauen, eine lokale Bürgerinitiative fragte bei der CBG nach. „Eure Referenzanlage ist gerade in die Luft geflogen“, meldete die zurück – kurz zuvor war es in Dormagen zu einer Explosion gekommen.

Schnelle Erfolge gehören aber nicht zum Alltag der Protestler. „Wir bleiben dran„ ist die Botschaft vom Mimkes. Manchmal dauere es Jahrzehnte, bis sich ein Bewusstsein für die Gefahren chemischer Giftprodukte etabliere. Zum Beispiel habe die EU-Kommission erst vor kurzem Bedenken gegen Saatgut-Chemie wegen des Bienensterbens geäußert.

Bayer zahlt Entschädigungen in den USA wegen Nebenwirkungen der Antibaby-Pille
Mit einer gewissen Genugtuung verfolgen die Kritiker, dass Bayer derzeit viel Geld für Entschädigungen an Klägerinnen in den USA aufwenden muss, die Nebenwirkungen der Antibaby-Pille geltend machen. Sie fragen, warum die Vertriebskosten des Konzerns 2012 auf fast zehn Milliarden Euro stiegen und was sich dahinter genau verbirgt. Sind es die teuren Aufwendungen für Pharma-Vertreter, Einladungen an Ärzte, Probepackungen, um Medikamente an den Mann zu bringen? Zum Vergleich: der Personalaufwand betrug 9,2 Milliarden Euro. Die mangelnde Transparenz – eine Schwachstelle der Pharmaindustrie – habe Tradition. So brüste sich Bayer stets mit der Erfindung des Aspirins, verschweige aber, dass er fast zeitgleich das Präparat Heroin auf den Markt brachte, etwa als Hustenmittel für Kinder. Mimkes klappt wieder das Bayer-Faltblatt zum Firmenjubiläum auf und tippt mit dem Finger auf den Aspirin-Punkt.

Die Bayer AG reagiert auf die Dauerkritik aus dem CGB-Lager offiziell mit Distanz. Kontakte jenseits der Hauptversammlung gibt es keine. „Sie sind sehr selektiv“, heißt es bei Bayer lediglich. Im Umfeld des Konzerns wird der Unmut schon deutlicher: Mimkes und Co., hört man da, würden sich die gesellschaftlich relevanten Themen herauspicken und auf Bayer zeigen. Im Grunde gehe es der Gruppe aber um weit mehr: um das System als solches. Offiziell, gibt es von Bayer dazu kein Wort. Antworten auf die Gegenanträge der Gruppe, heißt es, werde man auf der Aktionärsversammlung geben.