Drücke „Enter”, um zum Inhalt zu springen.

[War on Drugs] „War on Drugs“ mit Glyphosat

CBG Redaktion

„War on Drugs“ mit Glyphosat

Der kolumbianische Präsident Iván Duque plant, die im Jahr 2015 von seinem Amtsvorgänger gestoppten Flugzeug-Sprüheinsätze mit Glyphosat zur Zerstörung von Koka-Pflanzen wieder anlaufen zu lassen. Dabei fällt die Bilanz des Chemie-Krieges gegen die Droge verheerend aus, sowohl in gesellschaftlicher und sozialer als auch in gesundheitlicher und ökologischer Hinsicht. Entsprechend groß ist der Protest im Land.

Von Jan Pehrke

Im Jahr 2015 stufte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Glyphosat als „wahrscheinlich krebserregend“ ein. Das blieb nicht ohne Folgen. In Nordamerika gingen bei den Gerichten die ersten Entschädigungsklagen ein, und auch in Südamerika tat sich etwas. Der damalige kolumbianische Präsident Juan Manuel Santos beendete den Einsatz des Herbizids als Waffe im „War on Drugs“. „Die Empfehlungen und Studien, die vom Gesundheitsministerium überprüft wurden, zeigen deutlich: dieses Risiko existiert“, sagte er mit Verweis auf die WHO-Entscheidung und stoppte das Versprühen des Mittels per Flugzeug (1).
Seit 1986 hatte es zur Ausräucherung der Pflanzungen Verwendung gefunden. Begonnen hatte der „chemical warfare“ gegen den Koka-Anbau sogar schon 1978, aber so richtig große Dimensionen nahm er erst ab dem Jahr 2000 an. Da startete Kolumbien mit „freundlicher Unterstützung der US-Regierung“ den milliarden-schweren „Plan Colombia“ und mit ihm die Glyphosat-Flüge. Gegen den illegalen Anbau von Rauschmitteln richtete sich der Plan allerdings bloß vordergründig. „Die Fokussierung auf Counternarcotics war nur die Basis dafür, eine partei-übergreifende Unterstützung zur Finanzierung des Programms im US-Kongress zu erhalten, weil einige Mitglieder des Kongresses – das abschreckende Beispiel ‚Vietnam’ vor Augen – einer Verwicklung in Aufstandsbekämpfung kritisch gegenüberstanden“, spricht ein Kongress-Bericht aus dem Jahr 2019 Klartext (2). Auch für Dario Azzelini war der „Plan Colombia“ von Anfang an eine Strategie zur Bekämpfung der Guerilla-Gruppen. Zum Beleg führt er unter anderem eine Aussage des US-Generals Charles Wilhelm an. „Die kolumbianischen Streitkräfte sind nicht mehr in der Lage, den Vormarsch der Aufständischen aufzuhalten. Kolumbien braucht dringend unsere Hilfe“, hatte der Militär vom U.S. South Command Alarm geschlagen (3).

„Narco-Guerilla“
Im Fokus stand dabei vor allem die FARC (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia). Diese finanzierte sich zwar wirklich zu einem guten Teil über das Kokain, das jedoch taten die Paramilitärs auch, ohne deshalb Aktionen fürchten zu müssen, während die KämpferInnen der ELN (Ejército de Liberación Naciona) wiederum kaum auf Schonung hoffen durften, obwohl sie Drogen-Geschäfte ablehnten.
Für die FARC aber erfanden die USA den Begriff der „Narco-Guerilla“, mit dessen Hilfe sie den Krieg gegen die Drogen zu einem Krieg gegen die Rebellen machen konnten. Ein Vertreter des State Department charakterisierte das Vorgehen folgendermaßen: „Das ist das kolumbianische Modell. Wir haben das Militär nicht im aktiven Dienst in Kolumbien im Einsatz – aber wir haben Militär-Hilfe, die sich als bemerkenswert nützlich dabei erwiesen hat, die kolumbianische Armee und Luftwaffe zu Einsätzen gegen Drogen-Ziele zu bewegen. Und wenn sie dabei auch die FARC angreifen, die Drogenlabors bewacht, hilft das der Polizei, die Labors anzugreifen (4).“ Bei einem Großteil der zehn Milliarden Dollar, welche die Vereinigten Staaten von 2000 bis 2015 in den lateinamerikanischen Staat pumpten, handelte es sich um eine solche Militär-Hilfe. So bauten tausend US-Offiziere fünf Elite-Bataillone mit auf, „um den Süden des Landes wiederzuerobern“, wie die damalige US-Außenministerin Madelaine Albright es ausdrückte (5). Wegen dieser Ausrichtung zögerte die Europäische Union zunächst, den „Plan Colombia“ zu unterstützen, sagte dann aber doch 300 Millionen Euro zu – bestimmt allein zur Finanzierung von Entwicklungsprojekten. In denen sah der Journalist Maurice Lemoine allerdings nur einen „höchst willkommenen Rauchvorhang“ für die militärischen Operationen (6).
Die „Einsätze gegen Drogen-Ziele“ erfolgten dabei in hoher Frequenz. Von 2000 bis 2015 versprühten Flugzeuge auf einer Fläche von fast 1.700.000 Hektar Glyphosat. Überdies rieselte es in einer erhöhten Dosierung herab. Die Konzentrationen lagen bis zum 26-Fachen über dem üblichen Maß. Zudem wurde dem Mittel mit Cosmo-Flux noch ein Wirkungsverstärker zugesetzt, der die Giftigkeit um den Faktor acht steigerte. Damit nicht genug, gingen die PilotenInnen mit aller Gründlichkeit vor und flogen dieselben Felder mehrmals an. Aus diesen Gründen stoppte ein kolumbianisches Gericht die Sprüh-Flüge bereits im August 2001. Das Verbot hatte allerdings nicht lange Bestand. Die US-Botschafterin in Kolumbien, Ann Patterson, intervenierte und drohte mit einem Entzug der Hilfsgelder. Deshalb kassierten die Richter das Urteil bereits nach elf Tagen wieder, und die Glyphosat-Ausbringung zog sich noch bis zum Jahr 2015 hin.
Die Bilanz fällt, sowohl was die Wirkungen als auch, was die Nebenwirkungen betrifft, desaströs aus. Die Überdosis Chemie verwüstete zwar viele Felder, aber zu einer nachhaltigen Dezimierung der Koka-Ernten führte das nicht. Zahllose Landwirte brachen in andere Gegenden auf und legten dort neue Pflanzungen an. So breitete sich der Anbau nach und nach im ganzen Land aus. Oftmals siedelten sich die Bauern und Bäuerinnen dabei in Urwald-Gebieten an und schafften sich durch Abholzungen neuen Ackergrund, was verheerende Folgen für das Klima und die Biodiversität hatte.

Gesundheitsrisiken
Am schlimmsten aber sind die Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit. So kam beispielsweise eine Untersuchung der „Universidad de los Andes“, die sich auf drei medizinische Gebiete konzentrierte, zu alarmierenden Befunden. „Die Ergebnisse zeigen, dass die Exposition gegenüber dem Herbizid, das bei Sprühkampagnen aus der Luft verwendet wird, die Anzahl der Arztbesuche im Zusammenhang mit dermatologischen und atemwegsbedingten Erkrankungen sowie die Anzahl der Fehlgeburten erhöht“, resümieren die Wissenschaftler (7).
Das war auch in dem 200-Seelen-Dorf Santa Inés der Fall, das im Kolumbianischen Massiv am Fuße des „Cerro de Lerma“ liegt. „Ich war da oben, als sie gesprüht haben, und ich habe Wasser getrunken. Ich war im siebten Monat schwanger, jetzt habe ich mein Kind verloren“, klagte etwa eine Frau dem Journalisten Maurice Lemoine ihr Leid. Mehr als ein Viertel der Bewohner litt unter Schwindel, Kopf- oder Magenschmerzen, Durchfall oder Übelkeit. „Ich habe die Patienten untersucht, die Symptome sind bei allen dieselben: Vergiftungserscheinungen“, konstatierte der Arzt Luis Eduardo Cerón (8).
Auch die Menschen aus Rioblanco de Sotará litten massiv unter dem Glyphosat-Einsatz. Über das ganze Ausmaß der Gesundheitsstörungen konnte der Reporter Larry Rohter von der New York Times im örtlichen Krankenhaus jedoch nichts in Erfahrung bringen. „Wir wurden angewiesen, mit niemandem darüber zu sprechen, was hier passiert ist“, beschied ihm eine Pflege-Helferin (9).
Tiere griff das Glyphosat ebenfalls an. Regenbogenforellen in Fischfarmen verendeten elendig, und auch das Vieh der Landwirte verschonte das Mittel nicht. „Ich habe 12 Rinder verloren, die durch das Herbizid getötet wurden, und ich musste den Rest verkaufen, weil es kein Gras mehr gab, auf dem sie grasen konnten. Ich habe alles verloren, was ich investiert hatte“, sagt Pedro Nel Segura aus der Provinz Nariño und spart nicht mit Vorwürfen. „Jeder Pilot hätte sehen müssen, dass ich kein Koka anbaue. Meine Kühe sind weiß – man kann sie aus der Luft leicht erkennen – und sie weideten auf offenem Land, auf dem nichts angebaut wurde“, erregt er sich (10) .
Was die Feldfrüchte der Bauern und Bäuerinnen betraf, zeigte sich das Glyphosat nicht eben wählerischer. Erbarmungslos ging es auch auf Felder mit Bananen, Bohnen, Kartoffeln, Mais, Kaffee, Zwiebeln, Knoblauch und anderen Gewächsen nieder. Und selbst wenn das Pestizid einigermaßen zielsicher zum Einsatz kam, trug es der Wind allzu oft auf benachbarte Äcker. Das gefährdete die Nahrungsmittel-Sicherheit und bedrohte die Existenz vieler FarmerInnen. Sobald sich die Kunde über das Ausbringen des Herbizids und die Nebenwirkungen verbreitete, sanken die Preise für die landwirtschaftlichen Produkte der betroffenen Regionen rapide. Wegen der grenzüberschreitenden Folgen der Sprühungen reichte Ecuador im Jahr 2008 gar eine Klage gegen Kolumbien beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag ein.
Die Glyphosat-Einsätze veranlassten viele FarmerInnen der ländlichen Gemeinden dazu, aufzugeben. „Diese Gemeinschaften mussten die Geißel des Kriegs, des Drogenhandels und der strukturellen Gewalt gegen sie erleben. Doch bei allem, was es bedeutet, zwischen Armut, Kugeln und Bedrohungen zu leben, ist nichts schlimmer, als inmitten von Pestizid-Besprühungen zu leben, denn sobald sie kommen, steht eine massive Vertreibung dieser Gemeinden bevor“, schreibt die Juristin und Soziologin Carolina Bernal Ibáñez (11).
Ein militärisches Eingreifen zur Bekämpfung einer Guerilla, ein chemical warfare mit einem Pestizid als Waffe und die verbrannte Erde, die es hinterließ – die „Echos of Vietnam“ waren in dem lateinamerikanischen Land weithin vernehmbar. „In Kolumbien führen wir wieder einmal einen Giftkrieg gegen die einzigartigen Ökosysteme eines anderen Staates und die Gesundheit unschuldiger Zivilisten“, befand deshalb die US-amerikanische Wissenschaftlerin Rachel Massey (12).

Das Friedensabkommen
Diesem Treiben wollte der Duque-Vorgänger Juan Manuel Santos ein Ende machen. 2015 verkündete der damalige kolumbianische Präsident das Ende der Glyphosat-Flüge und ein Jahr später schloss er mit der FARC ein Friedensabkommen. Da das Kokain einen bedeutenden Beitrag zur Finanzierung ihrer Kämpfe gespielt hatte, erhoffte sich der Politiker von diesem Schritt einen Rückgang der Anbau-Flächen und Produktionsmengen, zumal die Übereinkunft den Guerilla-Mitgliedern Wege aus der Illegalität bahnte.
Auch die Landwirte erhielten Hilfsangebote. Rein wirtschaftlich betrachtet, handelt es sich bei Koka-Pflanzen nämlich um Cash Crops. Sie sind anspruchslos im Anbau und ermöglichen bis zu sieben Ernten im Jahr. Zudem gibt es eine Absatz-Garantie, ohne dass die AnbauerInnen dafür lange Lieferwege durch kaum erschlossene Gebiete in Kauf nehmen müssten. „Koka ist das einzige Produkt, das man aus dem Gebiet bekommt, in dem es angebaut wird. Mit anderen Produkten kann man gute Ernten erzielen, aber der Transport zum Markt ist so teuer, dass man einen Verlust macht“, erklärte der Sprecher einer lokalen FarmerInnen-Gruppe (13). So boten die Gewächse den Bauern und Bäuerinnen dann ein auskömmliches Leben und ihren Kindern eine Zukunftsperspektive, denn die Einnahmen reichten, um in die Ausbildung des Nachwuchses zu investieren. Andererseits fanden sich die „Cocaleros“ durch die Plantagen in der Gewalt-Ökonomie des Drogenhandels wieder. Sie gerieten zwischen die Fronten des „War on Drugs“, die nicht nur zwischen den Strafverfolgungsbehörden auf der einen und FARC, ELN und Paramilitärs auf der anderen Seite verliefen, sondern auch zwischen den einzelnen Gruppen selbst, da diese teilweise heftige Revier-Kämpfe ausfochten. „Koka brachte bewaffnete Gruppen direkt zu meiner Farm. Zu jedem Zeitpunkt konnten wir in Gefahr sein“, berichtet etwa ein Landwirt (14). Zwangsarbeit, Alkohol und Prostitution erhielten mit dem Kokain ebenfalls Einzug in die Welt der FarmerInnen. Vor allem viele Frauen wollten all das hinter sich lassen.
Den Ausstieg sollte das Substitutionsprogramm „Programa Nacional Integral de Sustitución“ (PNIS) ermöglichen, das unter anderem eine Unterstützung bei der Kultivierung anderer Pflanzen bereithielt. Eine solche hatte zwar schon der „Plan Colombia“ vorgesehen, aber eingebettet in einen kompromisslos geführten „War on Drugs“ wirkte das nur wenig attraktiv. Juan Hugo Torres, damals mit für die „Umschulung“ der „Cocaleros“ verantwortlich, kritisierte deshalb das inkonsistente Vorgehen von ehedem. „Man baut Vertrauen zu den Menschen auf, sie haben Hoffnungen, und dann macht das Sprühen all das zunichte“, so Torres. Und seine Vorgesetzte Alba Lucía Otero pflichtete ihm bei: „Der Staat ist eine Einheit, aber wir arbeiten auf der einen Seite, während diejenigen, welche die Ausräucherung durchführen, auf der anderen Seite arbeiten (15).“
Jetzt aber strebte Santos eine Politik aus einem Guss an. Das PNIS umfasste Kompensationszahlungen zusätzlich zu den Anreizen für Kokaersatz-Pflanzungen und zahlreiche weitere Maßnahmen zur Förderung der rund 200.000 vom Koka-Anbau lebenden Familien. So sah es einen besseren Zugang zu Landtiteln und Krediten sowie Hilfe bei der Vermarktung der Ackerfrüchte vor. Darüber hinaus strebte das PNIS eine Förderung des gesamten ländlichen Raumes an mit Infrastruktur-Projekten, einer Verbesserung der Gesundheitsversorgung und neuen Bildungsangeboten. Nicht weniger als 36 Gesetzes-Vorhaben enthielt das Paket.

Mangelhafte Umsetzung
Bei der Umsetzung allerdings haperte es, denn die Kosten waren mit mehr als einer Milliarde Dollar immens. Zumal Kolumbien diese fast allein aufbringen musste. Die EU trug rund 200 Millionen Euro bei, aber die USA sperrten sich. Hatte das Land noch Milliarden in den „narco war“ gepumpt, so war ihm der Frieden nichts wert. Die Vereinigten Staaten stuften die FARC nämlich als Terror-Gruppe ein, was jegliche Form von Unterstützung ausschloss. Deshalb floss das Geld an die LandwirtInnen nur spärlich. Bis zum Dezember 2020 hatten erst drei Prozent von ihnen Finanzmittel für legales Saatgut erhalten. Auch die Reformen kamen nicht recht voran. Im August 2020 stand noch die Realisierung von 21 Projekten aus. Überdies verfügte das PNIS kaum über MitarbeiterInnen.
Einen Einschnitt markierte dabei der 7. August 2018, denn da kam Iván Duque an die Macht. Der Rechtskonservative lehnte das Friedensabkommen in der vorliegenden Form ab und wollte es neu verhandeln. Das verhindete allerdings das Verfassungsgericht. Also verlegte sich Duque auf Obstruktionspolitik und fuhr das PNIS-Programm zurück. Statt ursprünglich 188.000 Farmen durften jetzt nur noch 99.000 teilnehmen. Etliche der Bauern und Bäuerinnen hatten da schon ihre Koka-Pflanzen vernichtet und standen auf einmal mit leeren Händen da.
Diese Umstände trugen wesentlich dazu bei, den Erfolg in Grenzen zu halten. Nach Abschluss des Friedensabkommens weiteten sich die Koka-Felder zunächst sogar noch einmal von 146.139 auf 171.495 Hektar aus, weil nicht wenige FarmerInnen auf diese Weise die Kompensationszahlungen zu steigern hofften. Erst ab 2018 schrumpften die Anbau-Flächen wieder. Im Jahr 2019 nahmen sie noch 154.000 Hektar ein. Aber auch andere Faktoren spielten eine Rolle dabei, die Zahlen auf einem hohen Niveau zu halten. So stießen andere Gruppen in das Vakuum, das die FARC hinterließ wie z. B. mexikanische Drogen-Kartelle. Zudem kehrten Tausende FARC-KämpferInnen, enttäuscht vom Deal mit der Regierung, in den Untergrund zurück. Überdies sank der Goldpreis, was dem illegalen Abbau so einiges von seiner Attraktivität nahm und viele wieder oder erstmals zur Koka-Pflanze trieb. Der hohe Dollar-Kurs, der den Bauern und Bäuerinnen mehr Einnahmen für ihre Ernte versprach, tat dann ein Übriges. „Bogotá hat es nicht geschafft, die ökonomischen Grundlagen zu verändern, die Koka – schnell wachsend und für einen loyalen internationalen Markt bestimmt – zu einer so verlässlichen Frucht macht“, resümierte die „International Crisis Group“ (16).
Die USA verfolgten die Aufs und Abs der Koka-Ökonomie genau und sahen Handlungsbedarf. Als Hebel nutzten sie ein 1974 eingeführtes Instrument, das Handelsbegünstigungen und finanzielle Unterstützung von einer Zusammenarbeit in Sachen „Drogen-Bekämpfung“ abhängig machte und das Maß des Wohlverhaltens mittels eines Punkte-Systems taxierte. Die Trump-Administration drohte Juan Manuel Santos mit Abwertung und den entsprechenden ökonomischen Konsequenzen. Um eine solche „Decertification“ zu verhindern, sagte dieser der US-Regierung Anfang 2017 zu, die Koka-Felder um 50.000 Hektar zu dezimieren und schickte Korps aus, um die Plantagen zu zerstören. In Tomaco beschwor dies Mitte Oktober 2017 gewalttätige Auseinandersetzungen mit Bauern und Bäuerinnen herauf, bei denen nach offiziellen Angaben sieben und nach Angaben der LandwirtInnen 16 Menschen starben. „Kolumbianische Sicherheitskräfte ‚massakrieren’ Koka-Bauern unter Druck von Trump“, titelte eine Zeitung (17). Und auch für Ariel Ávila von der FOUNDATION FOR PEACE AND RECONCILATION waren es die Interventionen aus Washington, die zu „einer Radikalisierung der Antidrogen-Politik“ führten. „Der kolumbianische Staat setzt alles daran, sich zu fügen“, kritisierte er und sah das Friedensabkommen gefährdet (18). Eindruck machte das jedoch nicht. Nach neuerlichen Drohungen der US-Regierung im Juni 2018 sagte Santos zu, die Kokain-Produktion binnen fünf Jahren um die Hälfte zu reduzieren. Das Mittel der Wahl dazu: Das Ausbringen von Glyphosat per Drohne. Das sei weniger gefährlich, versicherte Santos, zudem komme eine niedrigere Konzentration zur Anwendung. „Bodentruppen“, die das Herbizid aus Sprühflaschen über die Koka-Pflanzen niedergehen ließen, waren da schon länger im Einsatz.
Und dann kam Duque und kündigte eine Wiederaufnahme der Glyphosat-Flüge an. Der Mahnung Donald Trumps bei einem Besuch des kolumbianischen Präsidenten im Weißen Haus Anfang März 2020: „Sie werden sprühen müssen, sonst bekommen Sie das nicht in den Griff“, bedurfte es da gar nicht mehr (19). Duque nutzte die Zusammenkunft jedoch, um wieder mit der schon obligatorischen Hektar-Zahl aufzuwarten: 130.000 weniger sollten es diesmal bis Jahresende sein.

Massive Proteste
Die Entscheidung des Politikers für den Neustart der „Luftangriffe“ mit dem berüchtigten Pestizid löste massive Kritik aus. So appellierten sieben Sonderberichterstatter der UN an Duque, nicht noch einmal zu der unheilvollen Methode zu greifen, mit der „enorme Risiken“ verbunden wären. Ende April zogen LandwirtInnen vor das Verfassungsgericht in Bogotá. Sie störten den Betrieb mit einer Sitzblockade und übergaben eine von 20.000 Menschen unterzeichnete Anti-Glyphosat-Petition.
Das Menschenrechtsnetzwerk REDHPNA und das Kollektiv ORLANDO FALS BORDA setzen ebenfalls bei der Justiz an. Sie beabsichtigen, das Glyphosat-Comeback auf rechtlichem Wege zu stoppen. Daneben versuchen GegnerInnen des Vorhabens, die Unterstützung der US-amerikanischen Regierung zu gewinnen. 150 ExpertInnen verfassten in der Sache einen Offenen Brief an Joe Biden, und kolumbianische PolitikerInnen wandten sich an den US-Kongress. „Um die Koka-Plantagen in Kolumbien zu zerstören, braucht es mehr soziale Investitionen und keine chemische Kriegsführung“, konstatierten sie in ihrem Schreiben (20).
Auch bei den aktuell in dem Staat stattfindenden Protesten, die sich massiver Gewalt von Polizei und Militär ausgesetzt sehen, verschaffte sich die Ablehnung der Flugzeug-Einsätze Gehör. So beteiligten sich indigene Gruppen an einem landesweiten Streik und forderten die Regierung auf, „das Versprühen von Glyphosat aus der Luft und die Gesundheitsreform zu stoppen und die aus dem Friedensabkommen von 2016 erwachsenen Verpflichtungen zu erfüllen“ (21).

Und BAYER?
Der Leverkusener Multi wollte sich der Financial Times gegenüber nicht zum neuen Glyphosat-Programm Kolumbiens äußern, da er nicht direkt in die Praxis involviert sei. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) forderte das Unternehmen unmissverständlich auf, das Pestizid für solche Einsätze nicht zur Verfügung zu stellen. „Der BAYER-Konzern muss sich gerade vor Gericht für die chemische Kriegsführung seiner nunmehrigen Tochter-Gesellschaft MONSANTO in Vietnam verantworten. Er sollte jetzt in Kolumbien keine neue Front eröffnen und deshalb kein Glyphosat an die Regierung Duque liefern“, hieß es in ihrer Presseerklärung. Überdies hat die Coordination den Streikenden und Protestierenden in Kolumbien ihre Solidarität erklärt.
Auch die Bundesregierung muss nach Ansicht der CBG handeln, denn die Sprüh-Flüge widersprechen dem Ansatz der Entwicklungszusammenarbeit mit dem Land, wie er unter der Überschrift „Das Friedensabkommen mit Leben erfüllen“ formuliert ist. Zudem verletzt der Duque-Plan die Grundsätze der mit Kolumbien geschlossenen „Allianz für Frieden und nachhaltige Entwicklung“, in dessen Rahmen der lateinamerikanische Staat Gelder in Höhe von 535 Millionen Euro erhält. Und die EU sieht die Coordination ebenfalls in der Pflicht, die finanzielle Unterstützung, die sie zur Umsetzung des Friedensabkommens leistet, zu überprüfen. Laut Vertragstext ist nämlich die freiwillige Substitution der Koka-Pflanzen durch andere Gewächse „ein wesentlicher Faktor zur Erreichung der Ziele“ (22). Über die wirtschaftlichen Beziehungen vermag Brüssel ebenfalls Druck auf Duque auszuüben. Darum zählt die CBG zu den MitunterzeichnerInnen einer Petition, die von der EU-Kommission verlangt, das Handelsabkommen mit dem lateinamerikanischen Land so lange auszusetzen, bis „die kolumbianische Regierung nachweislich das Recht auf friedlichen Protest garantieren kann“ und alle anderen Menschenrechte achtet, denn dazu hat diese sich in dem Vertragswerk verpflichtet (23).

(1) Colombia to ban coca spraying herbicide glyphosate; www.bbc.com
(2) Colombia: Background and U.S. Relations, S. 32; www.fas.org
(3) Dario Azzelini: Der Krieg der USA gegen die vermeintliche „Narcoguerilla“; www.nadir.org
(4) ebenda
(5) ebenda
(6) Maurice Lemoine: Krieg den Hütten, Frieden dem Kartell; Le monde diplomatique vom 12.Januar 2001
(7) Adriana Camacho, Daniel Mejia: The Health Consequences of Aerial Spraying of Illicit Crops: The Case of Colombia; www.cgdev.org
(8) Maurice Lemoine: Krieg den Hütten, Frieden dem Kartell; Le monde diplomatique vom 12.Januar 2001
(9) Larry Rohter: To Colombians, Drug War Is a Toxic Foe; New York Times vom 1. Mai 2000
(10) Gideon Long: Cocaine: Colombia weighs a new areal war on drugs; Financial Times vom 20. Februar 2021
(11) Carolina Bernal Ibáñez: Glyphosat-Besprühungen in Kolumbien: Die effektivste Methode für Vertreibungen; www.amerika21.de
(12) Rachel Massey: Echoes of Vietnam; www.thirdworldtraveler.com
(13) The International Crisis Group: Deeply Rooted: Coca Eradication and Violence in Colombia, S. 16; www.crisisgroup.org
(14) The International Crisis Group: Deeply Rooted: Coca Eradication and Violence in Colombia, S. 17; www.crisisgroup.org
(15) Larry Rohter: To Colombians, Drug War Is a Toxic Foe; New York Times vom 1. Mai 2000
(16) The International Crisis Group: Deeply Rooted: Coca Eradication and Violence in Colombia, S. 4; www.crisisgroup.org
(17) Colombian Security Forces „Massacre“ Coca Farmers Under Pressure From Trump, The Daily Beast vom 15.10.2017
(18) ebenda
(19) Kolumbien: Nächste Runde im Kampf gegen die Drogen?; www.dw.com
(20) Interim Comission about drug policy; www.cdn77.pressenza.com
(21) Indigenous peoples join the national struggle in Colombia’s strike; Global Voices vom 14. Mai 2021
(22) Final agreement to end the armed conflict and build a stable and lasting peace, S. 106; www.peaceagreements.org
(23) Petition: Aussetzung des Handelsübereinkommens zwischen der EU und Kolumbien